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Die Kunst von Gemeinschaft

Oder: Was wir uns nicht leisten können


Coletta (rechts) und eine liebe Freundin
Coletta (rechts) und eine liebe Freundin

Egal, wo auf der Welt ihr euch befindet - ich bin sicher, ihr erlebt es ähnlich: Es bewegt sich viel. So viel ist im Umbruch, driftet auseinander, anderes zusammen. Von vielen Freund*innen aus verschiedenen Orten der Welt höre ich, dass sie sich überfordert fühlen von der Flut an (meist beunruhigenden) Tagesneuigkeiten.


Ich möchte heute keine erschreckenden oder beunruhigenden Nachrichten teilen. Ich möchte berichten, was sich in mir und um mich herum bewegt und was mein Leben und meine Welt hier - trotz allem - zusammenhält. Lasst mich mit einer kleinen Geschichte direkt aus meinem Leben beginnen:


Eine kleine Geschichte


In meinem zu Hause hier in Kenia lebe ich gemeinsam mit Coletta, der Frau, Mutter, Oma, die mit mir alles stemmt, was auf einer Farm mit vier Hunden, Baustelle und Community-Projekten so anfällt. Wir haben ihr ein zu Hause gegeben, sie mir eine unterstützende Kraft und vertraute Gefährtin. Coletta ist nicht aus dem Stamm der Kikuyu. Sie ist eine Kamba. Über 30 Jahre war sie mit einem Kikuyu Mann verheiratet, sie hat deren Sprache gelernt, ihre Kinder nach ihnen benannt, kocht ihre Gerichte und ehrt ihre Traditionen. Auch als die Gewalttätigkeit ihres Mannes sie zwang, von zu Hause wegzugehen, hat sie sich entschieden, im Land der Kikuyu zu bleiben. Es ist ihr zu Hause geworden.


Wenn Coletta für uns Reis von den benachbarten Farmern kaufen möchte, müssen wir unseren Freund, der Kikuyu ist, bitten, für uns an die Nachbarstüren zu klopfen. Denn an Coletta möchten die meisten nicht verkaufen. Auch unser Freund muss dann an mehrere Türen klopfen, nicht, weil es zu wenig Reis gäbe, doch"wenn es für die Kamba ist, verkaufe ich nicht."


"An sie verkaufe ich nicht."

Die täglichen Beleidigungen treffen sie nicht mehr, sie hat sich längst daran gewöhnt, niemals wirklich dazuzugehören. Und doch ist sie niemals verbittert. Sie lächelt die Anfeindungen der Umgebung weg und beschließt jeden Tag auf's Neue, ein friedliches Leben zu führen und ihr Herz für die Menschen um uns zu öffnen. Viele schätzen und lieben sie dafür! Für mich ist sie ein Segen.


Es ist Erntezeit des Mais. Die trockenen, verlassenen Maisstöcke haben wir gestern an unserem Zaun befestigt, damit sie uns Wind- und Blickschutz geben. Nacheinander kamen zwei Frauen vorbei. Die erste kommentierte: "Was, wenn die Maisstöcke Feuer fangen? Dann brennt das ganze Grundstück ab." "Warum sollten sie Feuer fangen?", fragte ich. Die Frau lachte hämisch und ging weiter. Die zweite Frau rief über die Straße: "Wäre ich eure Nachbarin, würde ich morgen meine Kuh direkt dort neben den Zaun zum Grasen bringen, dann habt ihr bald keinen Maisstock mehr". Lachend ging sie nach Hause.


Ich atmete aus und machte weiter. Solch missgünstige Drohungen überraschen mich nicht mehr und treffen mich nur noch selten. Nicht nur einmal wurde uns mit dem Niederbrennen unserer Farm gedroht. Versucht wurde es noch nie.


Warum erzähle ich das?


Ein Gespräch mit Coletta, bei Reis und Bohnen


Als ich mit Coletta zu Abend aß, hatten wir mal wieder das Thema..."die Kikuyus".

Die Community, in die wir beide "hineingeraten" sind, zu der wir beide niemals 100% gehören werden und die uns beiden doch zu Hause und Familie geworden ist.

Nicht zum ersten Mal sprechen wir über die "Bitterness", die Missgunst und Eifersucht, die oft das tägliche Miteinander bestimmen.


Es ist ein ruhiges Gespräch, kein gehässiges."Sie sind verletzt. Sie sind gebrochen." Coletta erzählt mir wie so oft ihre Sicht auf die Community der Kikuyu. "Sie wissen nicht, wer sie sind. Sie sind ein Mix-Up aus ihrer eigenen Geschichte. Mal sind sie das "auserwählte Volk", das durch den Weißen Mann mehr politische Macht empfing. Doch gleichzeitig wissen sie nicht mehr, was ihre Kultur ausmacht, wo sie herkommen, was ihre Identität bestimmt. Kein Stamm hat wie die Kikuyus durch den Einfluss von Kolonialisierung und Missionarisierung so sehr ihre Wurzeln vergessen wie sie. Sie wollen sich behaupten, doch wissen nicht mehr wie das mit Herz und Miteinander geht. Sie suchen Anerkennung, doch erkennen sich selbst nicht."


Wenn Coletta über ihre Sicht auf die Kikuyu spricht, fühle ich jedes Wort. Vieles ist gebrochen. Vieles ist ungeheilt. Es ist sicht- und fühlbar, jeden Tag.


Ich nicke und denke laut: "Ich wundere mich nur, dass das Konzept von Community noch immer so hoch gehoben wird unter Menschen, die sich gleichzeitig oft so wenig gegenseitig gönnen."


"Jana", sagt Coletta. "Kein Mensch kann sich leisten, ohne Community zu sein."


Diese Worte sanken tief. Ich fühlte, wie recht sie hatte.


"Kein Mensch kann sich leisten, ohne Community zu sein."

Es geht nicht darum, auf eine Gemeinschaft zu warten, in der es weder Missgunst, noch Diskiminierung, noch Ausgrenzung gibt. Ich glaube nicht, dass man sie auf der Welt findet. Nicht hier, nicht anderswo. Doch worum es in dieser Zeit mehr dennje gehen wird, ist der Versuch von Gemeinschaft, das Wiedererlenen von Zusammenhalt und die Heilung von bestehenden Communities.


Ja, auch ich werde hier verletzt. So wie an jedem Ort Menschen verletzt werden weil sie "nicht von hier" sind. Doch mit keinem Geld der Welt hätte ich hier, mitten im Dorf, auf dem Land der Kikuyus, ein zu Hause finden, ein zu Hause bauen, Projekte ins Leben rufen können - ohne eine starke Community um mich, die sich entschied, mich aufzunehmen, mich anzunehmen, mir zu vertrauen. Ich bin - trotz allem - Teil der Familie.


Mein Sein hier, mein Wirken ist - jeden einzelnen Tag - auf die Akzeptanz der Menschen um mich herum angewiesen. Und ich begegne ihr mit größtem Respekt und mit tiefer Demut.


Ich kann mir nicht leisten, keine Communtiy zu haben. Kein Mensch kann das hier. (Und auch nicht anderswo - nur gelingt es hier und da noch den Schein zu wahren, als wäre es so nicht.)


Was ich von den Menschen hier seit Jahren lerne ist: Je instabiler die Führung, die Regierung ist, desto stärker muss das Netz der Menschen tragen. Und es trägt. Trotz Verletzungen, trotz Gewalt, trotz Ungerechtigkeiten. Es trägt.


Meine Dankbarkeit für mein Angenommensein in dieser selbst tief verletzten Community um mich ist seit gestern noch größer. Ich weiß, dass sie nicht selbstverständlich ist. Und mein Anliegen und mein Auftrag werden mir einmal mehr klar.



Gruppentreffen mit meinem "Youth Circle", in dem Coletta unseren Jungs die Kunst der Zubereitung natürlicher Säfte und Marmeladen lehrt. Es schmeckt!
Gruppentreffen mit meinem "Youth Circle", in dem Coletta unseren Jungs die Kunst der Zubereitung natürlicher Säfte und Marmeladen lehrt. Es schmeckt!

Es geht um das Wiederlernen von Gemeinschaft. Das Räume-Schaffen für junge Generationen, um Respekt, Zusammenhalt und Vertrauen zu erfahren und zu erinnern. Den eigenen Wert zu kennen, um den des Nachbarn nicht herabsetzen zu müssen. Es geht um Heilung der Heiligkeit von Community.


Ich wünsche jedem Menschen, dass er die Erfahrung eines Gemeinschaftsnetz machen kann, das trägt.

Ich habe ein zu Hause gefunden, weil Menschen sich entschieden, mir eines zu geben. Und wenn ich morgen keinen Reis kaufen kann, dann habe ich dennoch Dinge, die unbezahlbar sind: Eine Familie, ein zu Hause, eine Netz, das trägt, wenn es tragen muss.


In diesem Jahr fokussiere ich mich mehr auf COMMUNITY mehr denn je. Die Community dieses Ortes, in dem ich lebe, der Jugendgruppen, der Landwirte und - nicht zuletzt der Community der Unterstützenden, das seid ihr!


DANKE, DASS DU TEIL UNSERER COMMUNITY BIST!


Deine Unterstützung unter dem Stichwort "Jana's Community" verwende ich 1:1 für Gruppenseminare, Gesprächskreise, Gruppenprojekte in diesem Jahr, die den Geist von Gemeinschaft um mich herum stärken und heilen. Das geht HIER.


Danke, für dein Vertrauen.


Herzliche Grüße aus der Lehmhütte,

Jana






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Hallo, ich schreibe für  euch live aus Kenia!

Die Diskrepanz zwischen dem, was wir glauben über weit entfernte Realitäten zu wissen und der tatsächlichen Selbstwahrnehmung von Menschen vor Ort, wird für mich besonders in dieser Zeit der 'globalen Krise' sichtbar. Njoki erschafft Beiträge, die...

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